Fotografie

Essay

„Schönheit konnte ich nur lieben,
wenn ich sie mit dem Hauch des Todes verband...“
Edgar Allan Poe

Das silberne Paar
Das silberne Paar, 1996

Venedig – eine außergewöhnliche Stadt, scheinbar immateriell über dem Wasser schwebend, immer noch voll von dekadentem Prunk, und gleichzeitig in einen kraftlosen,
Pantomime I
(Blumen), 1996
morbiden Zauber eingehüllt, wird einmal im Jahr zur einzigartigen Bühne, einem Theater, das für alle offen hält, die sich gerne, zumindest für einige Tage, in eine magische Welt versetzt wissen möchten. Hier wird alles möglich... Die raffinierte Schönheit der venezianischen Masken und Kostüme, oft prachtvoll überhöht, und zugleich die Rätselhaftigkeit der verkleideten Gestalten haben bewirkt, dass der Aufenthalt in dieser Welt, im Februar 1996, zur bleibenden Inspiration geworden ist.


Der Schrei (Rot), 1996
Der Schrei
(Rot), 1996
Verwunderung (Schwarz und Weiß), 1996
Verwunderung
(Schwarz und Weiß),
1996

Der Einfluss der dort gemachten Fotos sowie der mitgebrachten Accessoires war so nachhaltig, dass er – unabhängig von einem völlig anderen, zeit- und arbeitsintensiven Beruf – einen neuen Weg eröffnete. Ein wiederholter Rückblick auf den genauso blendenden wie geheimnisvoll verschlüsselten Karneval von 1996 hat zutage gefördert, dass sich hinter den gleichen Maskeraden, die noch einen Tag zuvor vom Freudentaumel mitgerissen waren, Schattengestalten verbergen,Środa popielcowa
Aus dem Zyklus „Aschermittwoch II“,
1996/2000

und dass auf den erstarrten Gesichtern ein Hauch von Tod weilt... Nach dem Faschingsdienstag wird Venedig plötzlich leer und seine strenge Atmosphäre regt zum Nachdenken an. Das Ergebnis dieser Eindrücke war der erste Zyklus mit einer sichtlich elegischen Stimmung: „Aschermittwoch“ (1996/2000).



Morgendämmerung
(Komposition in Ultramarin), 2000


Gleichzeitig, hauptsächlich in den Jahren 1999-2000, sind einige Studiowerke entstanden, die das Thema ganz spezifisch weiterentwickelten. Die Konzentration auf leere, ungeschmückte Masken, deren magische Wirkung auf Zweideutigkeit beruht, hat – wohl unterbewusst – einen Anschluss an dieAus dem Zyklus „Requiem“, 2000
Aus dem Zyklus „Requiem“,
2000
etymologische Bedeutung des Wortes erlaubt, denn die „Maske“ (ital. „maschera“, lat. „larva“) kann die „Seele des Verstorbenen“ bezeichnen und ihre typische Farbe ist weiß... Die im Studio entworfenen Kompositionen zeigen vorwiegend rätselhafte Gesichter mit hohlen Augen und erstarrter Mimik, die im unbestimmten Raum schweben und immer wieder eine neue Identität annehmen. Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema über Jahre hindurch bezeugt einerseits die bleibende Faszination durch die Masken, deren Geheimnis sich einem stets entzieht, andererseits die Faszination durch den autonomen Ausdruck der Stoffe samt deren Struktur und Farben.



Aus dem Zyklus
„Der Harlekin in Venedig
– Gondelfahrt“, 2001

Schließlich – angesichts der Einschränkungen, welchen die Arbeit im Studio unterliegt – wurde eine nostalgische Rückkehr nach Venedig inszeniert (2001), diesmal nicht mehr zum Karnevalbesuch, sondern in eine nahezu entleerte Stadt, eingehüllt in herbstliche Stimmung, gelegentlich aufgerüttelt von Wind und Regen. Diese Rückkehr wurde zum Anlass, nicht nur neue Kostüme und Masken zu entwerfen, sondern auch neue Gestalten ins Leben zu rufen: den Harlekin mit seiner Neigung zur Pantomime und den würdevollen Dogen. Sie begannen – ähnlich ihren historischen Vorbildern – sich völlig souverän in Venedig zu bewegen und
Aus dem Zyklus
„Rückkehr nach Venedig – der Doge“,
(Die mystische Vermählung mit dem Meer),
2001

organisch mit der Stadt, ihren Kanälen, Brücken, dem Meer und den nicht wegzudenkenden Tauben zu verschmelzen. Diesmal wurde ihre Wanderung kaum durch die sonst so aufdringliche Gegenwart von Störfaktoren beeinträchtigt, eine Gegenwart, die den Zauber dieses Mysteriums vernichtet und für die in den letzten Jahren, zur Zeit des Karnevals, Unmengen müßiger Zuschauer bezeichnend wurden.



Der Bajazzo
(Dissonanzen), 1999

All diese Bereiche der künstlerischen Aktivität durchdringen und ergänzen einander, was mühelos im Rahmen jeder Ausstellung nachvollzogen werden kann: der dramatische „Bajazzo“ („Dissonanzen“) von 1999 kündigt den späteren Harlekin an, jenen Harlekin, der die Wanderung durch Venedig unternimmt, wo er durch das Hereinbrechen der Nacht überrascht wird (2001).
Nachsinnen, 1996
Die geheimnisvolle Gestalt aus „Aschermittwoch II“ (1996/2000) lebt, zwar anders inszeniert, in herbstlicher „Rückkehr nach Venedig“ (2001) wieder auf. „Der schwarze Hut – Erinnerung an…“ (1996) ist ein Nachhall der „Zornigen“ (1996), die noch am Karneval teilnahm,
Der schwarze Hut
– die Erinnerung an...,
1996
sowie von „Nachsinnen“ (1996), wo die gleiche, aber diesmal maskierte Gestalt, sich nachdenklich über die verlassene Stadt beugt.

Gesichter, Masken, Mimen – sie alle erzählen die eigene Geschichte, verbergen das eigene Rätsel – oder aber täuschen etwas vor, was es nicht gibt...


Beata Wielopolska (2006)